. Stark sein in Beziehungskrisen
Wie man Partnerprobleme löst, ohne zu verlieren
Lübbe-Verlag, 300 Seiten

Leseprobe

Stark sein in Beziehungskrisen
Econ-Verlag, Seite 270 bis 273

Loslassen während der Beziehung

Loslassen gehört zu den allerschwierigsten Aufgaben im Leben, denn wir sind von Kindheit und Jugend darauf konditioniert auf das Festhalten. Das ist verständlich, da wir in einer materialistischen Leistungs- und Konsumgesellschaft leben, deren Grundprinzip es ist, durch Leistung Waren erwerben zu können und diese als persönlichen Besitz anzusehen.

Loslassen läuft dieser Konditionierung entgegen. Wie ich schon mehrfach sagte, sind wir in einer Beziehung zwischen Mann und Frau auf Fixierungen, Exklusivrechte und darauf konditioniert, sich gegenseitig in Besitz zu nehmen. Wenn ich einen anderen Menschen besitzen will: »Mein Partner gehört zu mir, wie mein Garten und mein Auto«, dann sehe ich den anderen als mein Besitztum an. Etwas Lebendiges aber kann man nicht besitzen und schon gar nicht ein so hochkompliziertes und sensibles Wesen wie einen Menschen. Ich denke aber, durch einen Ehevertrag ließe sich die Bindung zumindest stabilisieren. Das ist falsch. Da die meisten in unserer Gesellschaft der Habenmentalität verfallen sind und von einer Seinsgesellschaft nichts wissen wollen, scheint es sozial gerechtfertigt zu sein, so zu denken. Die Mehrzahl der anderen denkt doch genauso! Also muss doch wohl etwas daran sein. Es gilt als normal, so zu denken – normal im Sinne von üblich. Was üblich ist, kann aber dennoch falsch sein.

Loslassen ist deshalb so schwer, weil es sich gegen die Denkmentalität der Allgemeinheit (Mehrheit) richtet. Wir orientieren uns an den anderen, weil wir nicht gelernt haben, auf unsere eigene innere Stimme zu achten. Wir befassen uns auch nicht mir dem Loslassen – in der Hoffnung, gar nicht in eine solche Situation zu geraten, in der Loslassen erforderlich ist.

Wir meinen, den Partner zu besitzen, und der meint im Gegenzug natürlich auch, mich zu besitzen. Wenn ich etwas besitze, dann bin ich auch davon besessen. Leider ist das so. Wenn ich ein Haus besitze, so kann mich auch das Haus besitzen, denn Eigentum verpflichtet zu ständigen Unterhaltszahlungen. Schon mancher hat sich durch die Zahlungen für sein Haus selbst stranguliert. Er hängt am Strick dieser Bindung. Wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern, dann schuftet er nur noch für seinen Besitz. Er arbeitet wie ein Besessener und kann, wenn er Pech hat, nicht verhindern, dass die Bank zu Zwangsversteigerung drängt.

In der Partnerschaft kann man schnell zum Besessenen seines Partners werden. Wir kennen zwar alle die tragischen Geschichten, wie Männer und Frauen nach einer Trennung seelisch erkranken und wie besessen sie um eine Rückkehr des Partners kämpfen. Meist ist dieser Kampf vergebens, denn wenn man auf den anderen Druck ausübt, auch mit Geschenken und Liebesbriefen, weicht er nur um so mehr zurück, denn er möchte nicht genötigt werden, möchte lieber freiwillig entscheiden können. Ist erst einmal die Trennung erfolgt, fühlt sich der andere wieder frei und möchte in seiner wiedergewonnenen Freiheit durch– und aufatmen können. Für ihn ist die Loslösung zwar angstbehaftet, aber dennoch ein Befreiungsprozess, der positiv empfunden wird.

Wir sollten die Loslösung ständig leben und praktizieren. Wie geht das? Es ist ein Bewusstseinsvorgang, den wir selbst durchlaufen müssen. Ich mache mir bewusst, dass der andere niemals zu meinem Besitz werden kann, dass der Wunsch danach einfach falsch, ja verrückt ist. Der Glaube, einen anderen Menschen besitzen zu können, entspringt einer Idee. Ich muss erkennen, dass diese Idee falsch ist, weil sie in der Realität scheitern muss und wird. Ich sollte nicht nach Ideen leben, die Illusionen sind, sondern die Wahrheit suchen und finden. Wenn ich die Wahrheit erkannt habe, werde ich mich zwangläufig entsprechend verhalten. Wenn ich den anderen als einen freien, eigenständigen Menschen sehe, der niemals besessen werden kann, der höchstens abhängig gemacht werden kann von bestimmten Vorteilen, dann sehe ich deutlich, was richtig und was falsch ist.

Wenn ich den anderen als freie Person sehe, als ein authentisches Lebewesen, und mich selbst auch so sehe, dann werde ich den anderen mit Achtung, Achtsamkeit und Respekt betrachten, dann wird er niemals zur Gewohnheit, wird kein Möbelstück, an das ich mich gewöhnt habe, denn dann sehe ich ihn als ein eigenständiges Wesen, das immer losgelöst von mir ist. Wir begegnen uns dann nicht nach einem gewohnten Bild, das wir voneinander haben, sondern sehen uns ständig mit frischen Augen und hören uns gegenseitig mit wachen Ohren. Der andere ist dann das, was er ist: ein Geschenk für mich. Es ist nicht selbstverständlich, dass er anwesend ist, und schon gar nicht, dass er mich liebt.

Die Liebe ist ein Wunder, ein Mysterium, das sich nur in Freiheit, in großem Respekt und in freudiger Wachheit ereignen kann. Zwang, Unterdrückung, Routine, Käuflichkeit, Gehorsam, Befehle, Abhängigkeit – das alles gehört nicht zur Liebe. Deshalb ist die Loslösung so wichtig. Sie ist der Schlüssel zum Lebensglück.
Ich darf das, was freiwillig gegeben wird, in vollen Zügen genießen, um es dann loszulassen. Ich darf nicht ehrgeizig danach streben, es festhalten und besitzen zu wollen. In diesem Freilassen liegt Weisheit und Frieden. Dann bin ich mit mir selbst und dem anderen wirklich im reinen – ich kann lieben und gleichzeitig loslassen. Damit bin ich nicht bindungslos, sondern erst jetzt bin ich beziehungsfähig.